Texte zum Terminus "Wissenschaftsforschung"
Klaus Fischer (Trier): Hubert Laitko, Heinrich Parthey, Jutta Petersdorf (alle
Berlin): Hubert Laitko, Heinrich Parthey, Jutta Petersdorf im Jahrbuch Wissenschaftsforschung 1994/95 : Wissenschaftsforschung - dieser Terminus hat sich zur Bezeichnung der mannigfachen, in der Regel polydisziplinären Bemühungen, die Wissenschaft selbst zum Gegenstand systematischer Forschungen zu machen, seit den 70er Jahren unseres Jahrhunderts mehr und mehr eingebürgert, obwohl er auch heute weder allgemein üblich noch unumstritten ist. Hoffnungen, der Wissenschaftsforschung die Konturen einer mehr oder weniger klar abgegrenzten Disziplin mit akzeptierten Regeln der Gegenstandskonstitution und einem standardisierten Methodenrepertoire zu verleihen, haben sich zumindest bisher nicht erfüllt. Es mag sein, daß diese Hoffnungen nur verfrüht waren, es spricht aber auch manches dafür, daß sie ganz und gar unberechtigt sind und allein deshalb aufkommen konnten, weil die kognitive Situation, in der Wissenschaft sich selbst reflektieren kann, erkenntnistheoretisch unzureichend bedacht worden ist. Wie dem auch sei, in ihrem gegenwärtigen Zustand ist die Wissenschaftsforschung nicht homogen, und sie wäre wohl auch schlecht beraten, wollte sie das Streben nach Homogenität an die Spitze ihrer Prioritätenliste setzen. Sie lebt vom Diskurs des Mannigfaltigen; allein darin, daß sie ein lockeres Netzwerk bietet, das diesen Diskurs aufrechterhält, liegt ihre Daseinsberechtigung. Ein kleiner Ausschnitt aus der Vielfalt der Richtungen, in der sich Wissenschaftsforschung heute darstellt, wird von den Beiträgen dieses Jahrbuches repräsentiert, dessen ersten Band wir der freundlichen Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen. Manche Richtungen der Wissenschaftsforschung - so etwa die Scientometrie oder weite Bereiche der Wissenschaftssoziologie - haben heute deutliche Züge von Spezialdisziplinen angenommen, sie feilen ihren Methodenapparat aus und entwickeln eigene Terminologien. Je weiter sie auf diesem Weg vorankommen, je mehr sie professionell und "technisch" werden, um so mehr laufen sie allerdings auch Gefahr, sich in Veranstaltungen für Spezialisten zu verwandeln, die nur noch untereinander kommunizieren und den Wettstreit um fortschreitendes Raffinement der methodischen Ausstattung als intellektuellen Leistungssport betreiben. Wenn sie das Gesamtverständnis von Wissenschaft bereichern wollen, dann müssen sie die unvermeidliche Tendenz spezialistischer Abschließung durch ihr Gegenstück, die Öffnung über eine verstehende Deutung ihrer Befunde, bewußt ausbalancieren. Hinter diesen Schwierigkeiten steht der Umstand, daß Selbstreflexion ein genuin widersprüchliches Geschehen ist. Objektive Erkenntnis, die ihren Gegenstand als ein vom Erkennenden unabhängiges Objekt setzt und gegenüber diesem die Perspektive des äußeren Beobachters und Analytikers einnimmt, findet ihre Schranke darin, daß die für sie konstitutive Unabhängigkeitsannahme stets nur begrenzt durchführbar ist. Für die Naturerkenntnis läßt sich die Existenz dieser Schranke weithin vernachlässigen. Freilich hat uns dieses ausklingende Jahrhundert auch über die Existenz gravierender Fragen belehrt, die der klassischen Konstellation der Naturerkenntnis als Analyse eines unabhängigen Objektes durch einen äußeren Beobachter und Experimentator nicht mehr zugänglich sind; sie erschließen sich erst einer Haltung, die Naturerkenntnis als Selbstreflexion der Natur mittels des ihr untrennbar zugehörigen menschlichen Erkenntnisvermögens konzipiert. Sehr vielalltäglicher und allgegenwärtiger wird der Widerspruch der Selbstreflexion in der Erkenntnis des Menschen und seiner Verhältnisse; er wird sinnfällig in der disziplinären Aufspaltung dieses Erkenntnisunternehmens in dominant objektivierend (und damit auch zunehmend messend) vorgehende Sozialwissenschaften auf der einen, dominant verstehend, deutend und teilnehmend operierende Geisteswissenschaften auf der anderen Seite. Auf die Spitze getrieben aber ist jener Widerspruch in der Selbsterkenntnis der Wissenschaft. Wer immer sich aufmacht, sie objektiv zu betrachten, sie sich also als sein Erkenntnisobjekt gegenüberzustellen, bleibt doch zugleich in sie eingeschlossen, und er bleibt es erklärtermaßen, denn es sind ja die eigenen Erkenntnismittel der Wissenschaft, die er auf diese selbst richtet. Der Wechsel in der Beobachterperspektive zur Teilnehmerperspektive gelingt auf diesem Feld prinzipiell nur unvollständig, und das gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Dies darf keineswegs als Aufforderung mißverstanden werden, sich auf eine der Perspektiven zu beschränken. Im Gegenteil: Es ist ein Plädoyer dafür, die Komplementarität der Perspektiven und den beständigen Wechsel zwischen ihnen ausdrücklich zum Prinzip für die Selbsterkenntnis der Wissenschaft zu machen. Die objektivierende Analyse mit ihren "strengen" Methoden und ihren "harten" Resultaten erweist erst dann ihren Wert, wenn sie der Deutung aus der Sicht der Subjektivität der Erkenntnistätigkeit unterworfen wird; umgekehrt bliebe das Innenbild der wissenschaftlichen Subjektivität im vagen Ungefähr, könnte es nicht an objektiven Befunden angreifen. So ist zwar kaum Aussicht, daß es jemals eine in sich geschlossene, umfassende Theorie der Wissenschaft geben könnte, aber es zeichnet sich ein unbegrenzter Horizont für die gegenseitige Anregung der beiden Perspektiven der Wissenschaftsreflexion ab, solange sie aufeinander bezogen bleiben und keine von ihnen in Selbstgenügsamkeit erstarrt. Eben dies könnte jenes Allgemeine sein, das dem ad hoc eingeführten Terminus "Wissenschaftsforschung" eine kategoriale Bedeutung verleiht: die Intention, die potentiell unbegrenzt vielen Arten der Anwendung von Methoden aus dem Arsenal der Wissenschaft auf die Erforschung der Wissenschaft selbst aufeinander bezogen zu halten und dabei Reduktionismen und Absolutheitsansprüche abzuwehren. Zweck der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung, die Anfang des Jahres 1991 gegründet wurde und sich mit diesem Jahrbuch vorstellt, ist es, sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientierte Untersuchungen von Zusammenhängen der Wissenschaftsentwicklung in Vergangenheit und Gegenwart zu fördern. Ein Schwerpunkt ist dabei die Wissenschaftsentwicklung in der Region Berlin - Brandenburg. Dazu stellt sich der Forschende mit seiner Problemstellung und mit den Ergebnissen der Problembearbeitung einer Diskussion in den von der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung öffentlich durchgeführten wissenschaftlichen Veranstaltungen. Scientometriker, Methodologen, Wissenschaftssoziologen, Wissenschaftsökonomen und Wissenschaftshistoriker sehen sich dabei in einer Verbindung, deren Bestand allein von ihren geleisteten Beiträgen abhängt. Indes erweist sich gerade die fachlich heterogene Zusammensetzung als eine Einladung, die eingangs skizzierte Idee polydisziplinärer Wissenschaftsforschung zu erproben. Das ist kein glatter Weg. Ein Diskurs, der gelegentlich reizvoll ist, kann auf die Dauer beschwerlich werden. Es ist allemal leichter und erscheint auf den ersten Blick auch effizienter, wenn die Scientometriker, die Soziologen oder die Historiker jeweils mit ihresgleichen kommunizieren. Jedes Mitglied der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung ist natürlich auch in seine spezifische Fachgemeinschaft integriert, und die Versuchung ist stets gegenwärtig, sich ganz in diese zurückzuziehen. Doch da ist auf der anderen Seite auch das Wissen um die Notwendigkeit des Perspektivenwechsels und das Gefühl der Bereicherung, wenn es gelungen ist, sich in den Geist einer ganz anderen Forschungsrichtung hineinzudenken. Der Reiz eines so unkonventionellen Gesprächskreises - Bedingung der Mitgliedschaft ist allein fortdauernde forschende Betätigung auf irgendeinem Feld der Wissenschaftsforschung ohne jede nähere Festlegung über den Charakter des Gebietes - war immerhin groß genug, um Kollegen aus den alten und neuen Bundesländern in unsere Gesellschaft zu führen. Die größte "Fraktion" unter den Mitgliedern der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung bilden die Scientometriker einschließlich der Patent- und Innovationsanalytiker. Die Gesellschaft erhält dadurch eine unikale Prägung. Die Scientometrie, heute bereits selbst ein mannigfach gegliedertes, komplexes Gebiet, das stürmisch wächst und eine zumindest protodisziplinäre Struktur aufweist, ist von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Wissenschaftsforschung. Hier wird mit objektiven, quantifizierenden Methoden ein Massiv unbestreitbarer Kenntnisse über die Beschaffenheit der Wissenschaft erzeugt, das sich rasant ausdehnt und für die anderen Richtungen der Wissenschaftsforschung, vor allem für ihren mehr qualitativ und geisteswissenschaftlich verfahrenden Flügel, eine fortdauernde Provokation darstellt, weil häufig nicht evident ist, wie die dort gefundenen quantitativen Regularitäten aus den qualitativen Eigenarten des wissenschaftlichen Erkennens hervorgehen. Wie ernst diese Provokation ist, erhellt aus der Tatsache, daß noch immer nicht sicher ist, warum eigentlich das 1926 formulierte Lotkasche Gesetz gilt - jener klassische Befund über die funktionale Abhängigkeit zwischen der Anzahl von Autoren mit einer bestimmten Publikationsrate und der Publikationsrate selbst, mit dem die Scientometrie (ohne daß diese Bezeichnung damals gebraucht worden wäre) vor vielen Jahrzehnten ihr wissenschaftliches Entree gab. Obwohl die Ausgangspunkte der im wesentlichen aus der Analyse der Struktur und der Dynamik von Publikationsmassiven und Zitationsnetzen hervorgegangenen Scientometrie vor dem Einsetzen der Computerära zu finden sind, liegt doch auf der Hand, daß sich der schnelle Aufschwung des Gebietes in erster Linie der Verfügbarkeit effizienter Computertechnik verdankt. Erst so lassen sich die großen Datenmassive, die gesichtet werden müssen, damit quantitative Regularitäten zuverlässig festgestellt werden können, in angemessener Art und Weise bearbeiten. Damit verfügt nun die Wissenschaftsforschung über ein neuartiges und leistungsfähiges Werkzeug, mit dem sie über ihren hochkomplexen Gegenstand eine neue Schicht objektiver Befunde erheben kann. Aber was bedeuten diese Befunde für das Verständnis des Erkennens als eines subjektiven - denn auch die für geprüfte wissenschaftliche Aussagen in Anspruch genommene Intersubjektivvität ist immer noch Subjektivität - Phänomens ? Das ist die beunruhigende und anregende Frage, die sich immer erhebt, sobald gesicherte Befunde dieser Art vorliegen. Mit Fragen dieser Art wird sich die Gesellschaft für Wissenschaftsforschung beschäftigen. In allgemeiner Form kann man sich ihnen schwerlich nähern. Wenn aber die scientometrische Analyse sich direkt temporalen Strukturen der Wissenschaft von historischer Dimension zuwendet, dann werden die Fragestellungen konkreter und die Chancen eines Zugriffs größer. Es ist - um eine in diesem Band enthaltene Analyse als Beispiel zu nennen - ein durchaus erstaunliches Phänomen, daß das in den Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft geschaffene Publikationsmassiv ein halbes Jahrhundert später eine intensive und fortdauernde Zitation erfährt, und zwar nicht etwa in historischen Rückblicken, wo dergleichen zu erwarten gewesen wäre, sondern in den fachwissenschaftlichen Originalarbeiten, die die laufende Forschung dokumentieren. Dieser Befund ist ein handfestes Argument gegen den im Selbstbewußtsein des Forschungspersonals noch immer gängigen aktualistischen oder modernistischen Mythos, wonach alle wichtigen Ergebnisse der vorangegangenen Erkenntnistätigkeit im aktuellen "Stand" der wissenschaftlichen Literatur enthalten seien und alles Frühere bestenfalls noch den Historiker interessieren könnte. Aber welche Eigenschaften des Erkenntnisprozesses verbergen sich hinter der unerwarteten temporalen Zitationstiefe ? Was veranlaßt Wissenschaftler dazu, regulär im Rahmen ihrer laufenden nichthistorischen Forschungsarbeit ein halbes Jahrhundert und weiter zurückzugreifen ? Als denkbare Antworten auf diese Frage bieten sich die verschiedensten Annahmen an. Will man sie prüfen, dann wird man nicht umhin können, die durch scientometrische Analysen aufgewiesenen Langzeitzitationen exemplarisch einer inhaltlichen Untersuchung zu unterwerfen und festzustellen, welche Funktionen diese Rückbezüge im gedanklichen Gewebe der betreffenden Publikationen tatsächlich ausüben. Dies ist nur ein Beispiel für die fruchtbaren Provokationen, die der Einsatz objektivierender Methoden für den Fortgang der Selbstreflexion der Wissenschaft ausüben kann. Im Prinzip ist keine Disziplin von vornherein aus der Reihe der potentiellen Lieferanten von Denkmustern für die Wissenschaftsforschung ausgeschlossen; man hat die Wissenschaft oder Teilbereiche von ihr als Organismus, als Population oder als autokatalytischen Prozeß modelliert, man modelliert sie heute als schöpferisches Chaos, in dem Selbstorganisationsprozesse ablaufen - in der Regel haben alle diese Versuche irgendwelche positiven Einsichten geliefert und die Selbsterkenntnis der Wissenschaft vorangebracht, aber keiner war imstande, die Hyperkomplexität der Wissenschaft auch nur annähernd auszuschöpfen. Ein erkenntnistheoretisch bedachtsamer Autor wird dies auch schwerlich erwartet haben. Zu erwarten ist hingegen, daß zur Untersuchung der Wissenschaft auch künftig immer neue Mittel aus ihrem eigenen polydisziplinären Arsenal herangezogen werden. Für die Wissenschaftsforschung ist es ein sinnvolles Anliegen, allen solchen Vorstößen Raum zu bieten, sie miteinander zu vermitteln und keinem von ihnen die Selbsterhebung zum absoluten Kanon der Wissenschaftsreflexion zu erlauben. Das ist, beiläufig bemerkt, ein nicht unwesentliches Motiv für die Präsenz von Historikern im Verbund der Wissenschaftsforschung. Die Geschichte ist eine hervorragende Auskunftsinstanz dafür, daß die Zeit jede Lehre relativiert und jeglichen Absolutheitsanspruch ad absurdum führt. Wissenschaftliches Erkennen ist ein genuin selbstreflexives Unternehmen. Über Jahrtausende hinweg blieb aber dieses Moment der Selbstreflexion - etwa in Form von Methodenbewußtsein oder von Überlegungen über die Gestaltung des wissenschaftlichen Unterrichts zum Heranführen neuer Generationen an dieses Feld menschlicher Tätigkeit - im wesentlichen in das wissenschaftliche Tun an speziellen Gegenständen selbst verwoben, und was sich davon abheben ließ, das hatte seinen Ort in der Philosophie. Polydisziplinäre Wissenschaftsforschung mit ihrem mannigfachen Vermittlungsproblemen ist weitestgehend ein Produkt unseres Jahrhunderts. Das hat nicht ausschließlich und wohl auch nicht in erster Linie mit der Aufstockung des Arsenals intellektueller Mittel zu tun, auf die die Wissenschaft zu ihrer Selbsterkenntnis zurückgreifen kann. Ergebnisse wissenschaftlichen Erkennens haben wie nie zuvor in das Potential außerwissenschaftlicher Tätigkeiten des Menschen Eingang gefunden, mit den bekannten enormen und höchst problematischen Konsequenzen, und sind damit in das Wirkungsfeld mächtiger wirtschaftlicher, militärischer, politischer und sozialer Interessen geraten. Dies vor allem hat - unter affirmativem wie unter kritischem Vorhaltewinkel - das Bedürfnis stimuliert, mehr, Genaueres und Vielfältigeres über die Beschaffenheit der Wissenschaft und über ihre Beeinflußbarkeit zu erfahren. Die Wissenschaftsforschung kann sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie ihren Aufschwung weit eher dieser Interessenlage als einem Impetus "reiner" Erkenntnis verdankt, und auch ein Scientometriker tut gut daran zu bedenken, daß die Expansion seines Gebietes mit der Rolle der Wissenschaft als Kosten- und Effektivitätsfaktor in warenwirtschaftlichen Kalkülen und keineswegs nur mit der Begeisterung über die grenzenlosen kognitiven Möglichkeiten des Operierens mit Maß und Zahl zusammenhängt. Somit sieht sich die Wissenschaftsforschung konfrontiert mit der folgenreichen und problematischen Rolle von Wissenschaft in modernen Gesellschaften. In vornehmer Abstraktion von diesen Kontexten läßt sich moderne Wissenschaft nicht mehr realistisch begreifen. Der Legitimationsdruck, unter den Wissenschaft damit gerät, läßt die Intentionen und die Richtungen ihrer Selbsterkenntnis nicht unberührt. In den neuen Bundesländern, in denen in wenigen Jahren die institutionellen Verhältnisse des Wissenschaftsbetriebes radikal umgewälzt worden sind und diese Umstrukturierung zudem mit einem einschneidenden Potentialabbau und galoppierender Akademikerarbeitslosigkeit einhergeht, ist dies noch viel drastischer spürbar als anderswo. Zentrales Problem zur Sicherung von Arbeit und Demokratie sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern ist die angemessen zügige Entwicklung von Forschung und Innovation. Mehrere Beiträge dieses Jahrbuches belegen, daß sich die Gesellschaft für Wissenschaftsforschung dieser Herausforderung stellt. Auch hier tun sich Schwierigkeiten eigener Art auf. Objektive Wissenschaft darf strenggenommen nicht weitergehen als bis zur Analyse der Situation und des Fächers der in dieser für die weitere Entwicklung enthaltenen Möglichkeiten. Zugleich wird aber von der Wissenschaftsforschung erwartet, daß sie konstruktive Auswege aus kritischen Lagen konzipiert. Da alle einschlägigen Handlungsmöglichkeiten politisch bewertet sind, bedeutet das Aussprechen einer Option für eine bestimmte konstruktive Variante unvermeidlich zugleich eine politische Präferenz, und von einem Autor kann auch in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht verlangt werden, daß er seine Präferenzen verschweigt. Wenn sich Wissenschaftsforschung auf die praktischen Probleme einläßt, dann befindet sie sich auf einer Gratwanderung zwischen neutraler Analyse des Gegebenen und politischer Präferenzentscheidung. Diesen Risiken könnte sie nur entgehen, würde sie sich solchen Gegenständen entziehen. Das Vermeiden eines Risikos wäre mit einem sicheren Verlust erkauft; dieser Preis ist zu hoch. So heißt es auch in der Wissenschaftsforschung mit den Widersprüchen leben. Nimmt sie diese Lebensform ausdrücklich an, dann können sich einseitige Standpunkte nicht verfestigen, und das Erkenntnisunternehmen bleibt im Fluß. Berlin, im Mai 1995 Aus: Laitko, H. / Parthey, H. / Petersdorf, J.: Vorwort. - In: Wissenschaftsforschung. Jahrbuch 1994/95. Hrsg. v. H. Laitko, H. Parthey u. J. Petersdorf. Marburg: BdWi-Verlag 1996. S. 9 - 15. Zum Seitenanfang |